"Hoffnung hast du hier nie"
Unter Dealern, Strichern und Junkies am Hamburger Hauptbahnhof

Eigentlich, sagt Rene, ist das doch klar. Leben heißt nie nur auf einer Stelle treten, „die Leiter geht rauf und runter, immer wieder“. Rene ist 33 und ganz stolz auf seine neue Mietwohnung, ein Zimmer in einer Plattenbausiedlung, irgendwo draußen an der Stadtkante Hamburgs. „Nur für mich“, sagt er, „da nehme ich keinen von hier mit hin“. Jetzt ist das bestimmt ein Schritt voran. Hofft er. Dieses Mal wirklich eine Bewegung fort von dem Ort, der nun schon zweiundzwanzig lange Jahre sein Leben prägt. Seit er mit elf das erste Mal her kam.

Vor ein paar Monaten ist er zuletzt tief abgestürzt. „Zweieinhalb Jahre hab ich die Füße still gehalten, hab nicht mal nasse Hände gekriegt“, wenn die Freundin regelmäßig zur Spritze griff. Junkie, sagt Rene, der sich mit Anfang zwanzig seine erste Nadel setzte und seit drei Jahren mit Metadon substituiert wird, ein Junkie bleibt man ja ewig, trotz allem. Und dann hat die Freundin auf einmal tschüs gesagt, hau ab, einfach so, meint Rene, das Kind ist jetzt wohl auch im Heim, weiß nicht wo, und dann hab ich plötzlich wieder Beikonsum gehabt, aber nur manchmal, und auch kein Heroin, nur Koks. Bier natürlich auch, klar. „Wenn das Herz mitspielt, dann passiert so was schon mal“, sagt Rene, ich kannte die ja schließlich schon vorher ganz lange, die war ja auch von hier, und vielleicht lerne ich bald ja noch mal eine Frau kennen, meinetwegen auch hier. Aber dann muß die clean sein, richtig clean, ohne Beikonsum und so.

„Wie das halt so ist“, erzählt Rene, Zuhause war nichts los, nur Ärger und totlangweilig, abwechselnd, und dann sind sie als Kinder noch das erste Mal zum Bahnhof gefahren. Schier gestaunt hat er zunächst über all die Menschen und Märkte dort, hat bald gelernt, Autos zu knacken und später, sich Spritzen zu setzen. Ab dann war’s ein „Leben nur im Hardcore noch“, sagt Rene, manchmal ein paar Tage weg vom Bahnhof und doch jedes Mal der Weg zurück dort hin. „Meine Familie war das hier, mein Zuhause“, sagt er, sogar die Leute ringsum in den kleinen Läden kannten ihn. Hallo Rene, wie geht’s?, die grüßten immer, auch noch nach den ersten Malen Knast zwischendurch. Beschaffung, das übliche, Schecks und Brüche und so, sagt Rene, ich brauchte Geld, jeden Tag neues Geld, bestimmt hundert oder hundertfünfzig. Fünf Jahre lang war er danach nicht mehr am Bahnhof, eines ist noch auf Bewährung, hat eine Therapie abgebrochen, weil ich da meine Mutter töten sollte, gedanklich, aber ich bin doch der Junkie, nicht sie, und eine zweite erfolgreich durchlaufen. Hofft er. „Denn so wie früher auf der Straße oder im Knast, so will ich nie wieder leben müssen“.

Gestrauchelte und Gescheiterte, ruhelos Brennende oder trostlos Verlorene, entwurzelte Menschen auf der Suche, irgendwo doch noch Anker werfen zu können - Bahnhöfe, jene Orte des Ankommens und Abfahrens, moderne Multifunktionspaläste als Beispiele opulenter Verschwendungssucht und verschwundener Wartesäle, Schnittstellen von Nähe und Ferne, diese Hauptbahnhöfe sind immer auch Orte der Hoffnung, sind Stätten des Trostes unerfüllter Hoffnungen und vergangener Sehnsüchte. Etliche hundert? Am Hamburger Hauptbahnhof, und in den Straßen dahinter, treffen sich Junkies und Alkoholiker, kindliche Huren und alt gewordene Berber, Dealer, Jugendliche auf Trebe und Crackraucher auf Steinsuche. Dazu, allemal am Abend, die Freier und Spanner, all die normal Perversen und pervers Normalen. Mehr, deutlich mehr als tausend?

Täglich 600 Reisezüge und eintausend S-Bahnen. 400 Bahnhofsbeschäftigte, plus Zugpersonal, für einmal um die Uhr 250.000 Fahrgäste, dazu mehr als 200.000 Käufer, Gucker, Passierer entlang der 55 Boutiquen und Bistros, HiFi-Läden und Haarstudios, in denen 1200 Frauen und Männer im Schichtbetrieb schaffen. Der Hamburger Hauptbahnhof ist nicht nur einfach ein Funktionsgebäude. Er ist ein hunderteinundzwanzig Meter langes, dreiundsiebzig Meter breites und siebenunddreißig Meter hohes Knäuel aus Stein, Stahl
und Glas - groß, unübersichtlich, kompliziert. Halb geschlossene Räume ermöglichen einer modernen Konsumgesellschaft möglichst ungestörten Zugang, um eilige Bedürfnisse rasch zu befriedigen. Zum einfachen Warten laden sie nicht ein. Und doch sind sie der Ort, der Manchen auch Privatheit ersetzt. Manchen Menschen, denen der Bahnhof als Lebensraum und Erlebnisort zugleich dient.

Ulrich Hermannes ist Leiter der Hamburger Bahnhofsmission und hat an seiner Bürotür einen Zettel befestigt, in Augenhöhe. Ein Zitat von Joseph Beuys: „Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt“. Wer nicht mehr weiß, warum wohin, der findet immer noch den Weg zum Bahnhof, sagt Hermannes. Wie eine große Kathedrale wirke dieser schließlich, ein Ort, an dem sich in all seiner Anonymität eine ganze Menge an Emotionen aushalten und einfangen lasse. Und ein Ort, der sich geradezu aufdränge als klassischer Handelsplatz - viele Kunden, schnelle Geschäfte.

Rene klagt. Scheiß Wetter mal wieder, die ganze Zeit nur Regen, und dann noch Montag heute. Montags ist sowieso tote Hose. Samstags ist gut, oder erst die Tage vor Weihnachten, da sind die Leute dann so richtig bei dir. Rene will weg vom Bahnhof und kehrt doch immer wieder zurück. „Das ist ja jetzt mein Arbeitsplatz hier“, ruft er, und rennt schnell quer über den Vorplatz einem Golf hinterher. Die freie Bucht da hinten, zwei Mark vielleicht oder fünfzig Pfennig.

Oder nichts. Alles freiwillig, schreit Rene durch den Regen, „ich bin hier Parkplatzwächter!“. Der vorher konnte nicht mehr, war ja auch positiv, HIV, ging sowieso nur noch an Krücken. Ich würd ja auch richtig arbeiten, sagt Rene, anstreichen oder Abrißarbeiten kann ich ganz gut, aber nicht unter neun Mark die Stunde, nee, das ist Minimum, ich brauch doch auch Geld. Früher, auf Nadel, da war der Bahnhof schon mal mein Arbeitsplatz, hab gedealt damals, Koks, Heroin, alles. Aber keine krummen Sachen mehr, bloß nicht, sagt Rene, die alten Omas können jetzt ruhig ihre Handtasche im Auto lassen, und auch die Scheibe runter, ich pass da schon auf drauf. Selbst wenn die nichts zahlen. „Ich will nicht mehr in die Kiste, ich will weg von hier“.

„So ab drei Uhr“, sagt der gefönte blonde Junge, „dann stelle ich mich hier hin. Bis abends um neun, dann bin ich fertig“. Er ist zwanzig, seit vier Jahren am Hauptbahnhof und arbeitet jetzt als Stricher. Viel Geld verdienen wolle er für schöne Klamotten, hofft der Junge, und die drei Mädchen neben ihm auf der Mauer sitzend, zwei 15 Jahre alt und eines 16, lauschen ganz andächtig. Vor ein paar Tagen und Wochen erst kamen sie hierher, aus verschiedenen Richtungen. Freundschaften wünsche sie sich, haucht die eine. Das geht ratzfatz, strahlt eine andere, die ältere, erst lernt man einen kennen, dann kennst du jeden. Und ein 17-Jähriger, mit Bierdose in der Hand und gleichaltrigem Mädchen im Arm, erklärt ihnen mal eben den Bahnhof, schon ganz schön Macker dabei: Alles voll locker hier, null problemo, für Jungs echt easy, tut er sich mächtig dicke. Nur „die weiblichen Wesen, die wissen nicht, was gut für sie ist. Das wissen die von Natur aus nicht. Die meisten rutschen dann rein ins Anschaffen“. Er selbst trinkt den Alkohol literweise, seit er vierzehn ist, raucht Crack seit einem Jahr, und seine Freundin spricht auf dem Vorplatz in Höhe der Außenuhr ab und zu sehr freundlich allein wartende Männer an. Ob man ihr nicht sagen könne, duzt sie dann, wie spät es ist. Zuhause, im Osten, ist sie abgehauen: „Ich wohne sehr klein da. Und hier ist das ja eine große Stadt“.

Der Hauptbahnhof ist kein glatter, kein zarter Ort. Vor allem Raum für Geschäfte bietet er, innen wie außen: Reisegeschäftsverkehr, Drogenverkehr, Geschlechtsverkehr. Überall Geldverkehr. Huren und Junkies, Stricher und Dealer bewegen sich der Umwelt angepaßt. Ihr Tun ist auch Nachahmung des Konsumverhaltens anderer, bürgerlicher Welten. „Wenn du Kohle hast“, sagt Hamit, ein 24-Jähriger Stricherjunge auf der Suche nach einem neuen Freier und den nächsten Crack-Steinen, „dann hast du tausend Freunde. Wenn du nichts hast, dann kennt dich hier keiner mehr“.

Hamit hat nur noch sechs Mark, klagt er, und die Gier nach der nächsten Crack-Pfeife quält ihn nun schon den halben Nachmittag. Heute Mittag ein Freier, später ein zweiter. Zusammen hundert Mark, alles längst schon wieder aufgeraucht. „Mein Gott“, stöhnt Hamit, „was mache ich jetzt bloß?“ Wenn ich doch ganz schnell nur noch fünfzig Mark schaffen könnte, oder dreißig, wenigstens, dann würde ich sofort neue Steine kaufen. Und hätte vielleicht Ruhe für eine Stunde. Hoffentlich bald ein paar Minuten Ruhe vor der Gier, fleht Hamit.

Seit etwa zwei Jahren hat sich der Crack-Konsum in der Hamburger Hauptbahnhofsszene geradezu explosionsartig ausgebreitet. „Man konnte gar nicht mehr so schnell gucken, wie die Leute damit angefangen haben“, sagt Bernd Homann, Sozialpädagoge im „DROB INN“, einer stets gleichmäßig hoffnungslos überlaufenen Hilfeeinrichtung für Heroinabhängige in Bahnhofsnähe mit Konsumraum und Spritzentausch, Ruhemöglichkeiten und Essenausgabe. Crack ist ein Kokain-Derivat. Aus einer Mischung mit Ammoniak wird eine Lauge gekocht, bis nur noch lauter Kristalle übrig bleiben, kleine Krümel. Lauter kleine weißgraue Steinchen.

Heute ist Crack am Bahnhof neben Heroin und Kokain sowie Alkohol und Valium- oder etwa Hypnol-Tranquilizern als große Droge etabliert. Drogenhilfeeinrichtungen und Polizei schätzen übereinstimmend, dass ungefähr drei Viertel der offenen Drogenszene, vor allem die jungen Abhängigen, Crack zumindest als Beikonsum nutzen. Das körperlich abhängig machende Heroin wirkt dämpfend und läßt den Junkie etwa sechs Stunden in Frieden. Die Crack-Pfeife puscht schon mit dem ersten Zug das Herz-Kreislaufsystem, zwingt so zu äußerst hektischer Betriebsamkeit und hinterläßt nach manchmal weniger als zehn Minuten rasch eine psychische, nicht körperliche Gier auf mehr. Bis heute sind keinerlei Stoffe bekannt, die zur möglichen Substitution crackkranker Junkies dienen könnten. Und die Szene wächst weiter. Steine rauchen gilt inzwischen, bei abhängigen Strichern und Prostituierten beispielsweise, als „saubere“ Art des Konsums: keine dreckigen Spritzen mehr, keine zusätzlichen Löcher im Körper. Manch Junkie hängt zunächst, ohne Schlaf oder Essen über Tage hinweg, an der Pfeife. Und beruhigt sich schließlich, völlig erschöpft, mit einem Schuß Heroin.

Hamit bewegt sich wie aufgezogen, sein Motor läuft volllastig. Der Kerl dahinten, schnell einen Bogen dicht um ihn herum schlagen - doch kein neuer Freier, ich dachte schon. „Und wo bleibt Michi bloß, eine Stunde ist der bald weg, den Freier kenn ich auch“, wimmert Hamit. Michi strichert am Hauptbahnhof seit acht Jahren und drückt sich Heroin, ebenfalls seit er 16 ist. Manchmal ist Michi ganz nett zu Hamit, „aber das ist“, ahnt dieser, „wohl nur gespielt“. Vor allem, wenn Michi mal wieder einen Affen schiebt, dringend einen neuen Schuß braucht. „Ich hab ihm schon viel Geld gegeben“, sagt Hamit, „anfangs war ich ja noch clean und dachte, ich hätte jetzt einen Freund“. So einen, mit dem ich richtig per du sein kann, fügt er an, mit dem ich auch mal reden könnte.

Seit zwei Jahren lebt Hamit jedes Wochenende, manchmal auch ein paar Abende zwischendurch, auf dem Bahnhof. Und seit er sich ein Jahr später so unglücklich in Michi verliebte und bald selbst kennen lernte, Freier zu bedienen, um Steine rauchen zu können, fällt es ihm unter der Woche zunehmend schwerer, weiter seinem Job als Werkshelfer nachzugehen. „Viel Willen ist nötig, um Arbeit und Crack unter einen Hut zu kriegen“, stöhnt Hamit, „aber man hat doch Respekt vor Vater und Mutter“. Seine Eltern, gläubige Moslems, erwarten zudem dringend, dass ihr Sohn ihnen endlich eine Frau vorstellt. „Das Thema Heirat“, stöhnt Hamit, „das klebt mir so richtig auf dem Nacken. Und dass ich noch immer keinen Freund habe. Und mich Zuhause mal verplappern könnte“.

„Alles ist viel hibbeliger, kantiger geworden“, beschreibt der Chef der „Abteilung Drogenbekämpfung“ an der Polizeiwache St. Georg die Veränderungen in der Szene seit Aufkommen des Crack-Konsums. Ullrich Frost ist mit seinen Leuten zuständig für das Gebiet zwischen Hauptbahnhof und benachbartem Rotlichtviertel Hansaplatz. Aus den USA berichtete Ängste, wonach Crack bei einem Süchtigen - quasi über Nacht und automatisch - gewalttätiges Alltagsverhalten auslöse, könne man nicht bestätigen. „Das sind die ärmsten Willis“, sagt der Drogenfahnder über die Crack-Abhängigen rund um den Bahnhof, „keine Axt schwingenden Monster im Blutrausch“. Dennoch beobachtet auch die Polizei, dass innerhalb der Szene die Aggressivität untereinander wächst.

Gut 37 200 Platzverweise hat Hamburgs Polizei vergangenes Jahr im gesamten Bahnhofsraum St. Georg vermeintlich Zugehörigen der Drogenszene ausgesprochen. Weitere insgesamt 7 000 Platzverweise und Hausverbote wurden auf dem Bahnhof vom Bundesgrenzschutz erteilt, dessen Beamte vor allem - so ein Sprecher - bei „optischer Belästigung“ tätig werden. Diese Zahlen bleiben seit ein paar Jahren konstant. Ein Platzverweis gilt immer bis zum folgenden Morgen drei Uhr. Dann setzt es den nächsten, vielleicht schon einen Tag später, womöglich erst ein paar Wochen darauf. Manch Junkie weiß längst nicht mehr, wie viele Verweise bereits auf seinem Namen geschrieben wurden. Wer kann auch schon noch anders als nur immer wieder zurück, zurück zu Kollegen und Freunden, zu Dealern und Kunden, wenn er kaum erinnert, von wo er einst kam? „Das ist uns natürlich vollkommen klar“, sagt Ullrich Frost von der Polizei und definiert als vordringliches Ziel seiner Beamten, die Vorgaben aus der Politik umzusetzen: dafür zu sorgen, „dass die Szene in Bewegung gehalten wird, um eine Verfestigung an bestimmten Plätzen zu verhindern“.

Für Viele ist der Hauptbahnhof, sind die Ecken und Nischen um ihn herum längst eine Gewohnheit, die sich bloß schwerlich noch abschütteln läßt. Diese Menschen interessiert nicht mehr die Frage, warum sie mal herkamen. Ihr Problem ist jetzt viel dringlicher: sie sind einfach da. So versuchen sie zu leben, versuchen zu überleben in einer Umgebung, wie sie ihnen unwirtlicher kaum sein kann. Sie existieren am Rande und sind doch stets voll im Blick. Rund um die Uhr beobachtet von knapp 70 zumeist schwenk-, neig- und zoombaren Videokameras und etlichen Doppelstreifen der Bahnhofsschutzgesellschaft sowie der U- und S-Bahn-Wachen. Und von zeitgleich bis zu 40 Polizeibeamten, in Zivil oder Uniform, vom BGS und von der Landespolizei. Hamburgs Hauptbahnhofs-Umfeld St. Georg gilt als das Gebiet mit der höchsten Polizeidichte Deutschlands.

Es sei ja schon mal ein erster Erfolg, sagt Günter Blümlein, dass die Szene der Junkies inzwischen von einem Ort sogleich zum nächsten vertrieben werde. Man muß vielleicht versuchen, seine Sicht zu verstehen, denn als Geschäftsführer der Betreuungsgesellschaft für den Hamburger Hauptbahnhof (BHH) ist Blümlein zuständig für Sicherheit und Ordnung und ungestörten Zugang ins Bahnhofsrevier. Und so beklagt er, dass hingegen all die anderen, die Obdachlosen und Alkoholiker, noch nicht weiter zur Seite gedrängt werden konnten. „Gegen die gibt es bisher keine gesetzlichen Handhabungen“, sagt Blümlein, „die stehen ja nur da rum und schlucken Bier“. Alkoholkonsum ist legaler Konsum, und der von der Bahn so dringend gewünschten Überlassung des Hausrechts auch auf den umliegenden Vorplätzen wurde bisher noch nicht entsprochen. Leider, sagt Blümlein, aber Hamburger Behörden seien Randständigen gegenüber nun mal „sehr, sehr, sehr tolerant“.

Zumindest dem Bezirksamt Hamburg-Mitte kann diese Kritik kaum gelten. Jüngst erst wurde dort grünes Licht geschaltet für die Pläne der Bahn, Lautsprecher unter die Überdachungen der Vorplätze zu hängen. Voraussichtlich noch ab diesem Jahr wird dann rund um die Uhr klassische Musik zu hören sein. Dealer
und Junkies mögen das überhaupt nicht, hat schon die Hochbahn AG sehr erfreut festgestellt, seit sie vor zwei Jahren damit begann, die den Hauptbahnhof umschließenden U-Bahn-Tunnelanlagen mit Bach und Beethoven, Chopin und Schubert zu bestrahlen. Obdachlose Alkoholiker bestimmt auch nicht, hofft die Deutsche Bahn AG.

Hamit hat nun doch den nächsten Freier gemacht. Auf dem Weg zurück ein schneller Wink zum Dealer. Und dann, endlich, der Konsum, nicht mehr als nur ein paar hastige Momente in einer Telefonzelle, ebenso hektisch wie schon der ganze Tag. Und Rene? Der erzählt auf seinem Parkplatz immer wieder von längst Vergangenem, spricht von Trost, den es nirgends gibt, und Freundschaften, die er nicht mehr hat, „der Eddi ist auch in meinen Armen gestorben“.

Nächsten Monat, sagt Rene, krieg ich vielleicht richtige Arbeit. Aber Hoffnung hast du hier nie.

Peter Brandhorst

Wiener Zeitung von 24. 8.2001
Süddeutsche Zeitung vom 16.6.2001