Peter Lohmeyer, Sie haben schon in vielen deutschen Städten
gewohnt. Was macht einen funktionierenden Stadtteil aus, wodurch wird
eine Wohnumgebung lebenswert?
Ich bin in einem Pfarrhaus aufgewachsen und mit meinen Eltern oft
umgezogen. In Stuttgart musste ich kilometerweit in die Stadt fahren,
um zur Schule und zu meinen Freunden zu kommen.
Mit 18, als ich in Dortmund das erste Mal allein lebte, habe ich ein Bewusstsein
für Wohnen und Heimat entwickelt. Ich habe mir Kontakte gesucht und
mir meinen Kiez gebaut. Wenn das Umfeld stimmt mit alten und jungen Menschen,
mit netten und manchmal auch unfreundlichen Nachbarn, erst dann schlägt
man Wurzeln.
Zum Wohlfühlen gehören nicht nur der Supermarkt oder ein
Bäcker in der Nähe, sondern vor allem Menschen - auch mit unterschiedlichen
Hintergründen -, mit denen man sich austauschen kann?
Ein fruchtbarer Austausch muss möglich sein. Und der kleine Park
sollte auch da sein, in dem man Sonntags mal Fußball spielen kann.
Aber vor allem sollte man ein Bewusstsein haben für sein Viertel:
Was soll warum abgerissen werden, welche Veränderungen sind geplant?
Was ergibt sich daraus? Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass mir das
nie egal ist. Weil das Umfeld stimmen muss, damit der Mensch sich wohlfühlt.
Sie leben seit 18 Jahren im Hamburger Stadtteil Ottensen, ein Viertel
wie es sie in vielen Städten gibt und von denen Stadtsoziologen ursprünglich
als A-Gruppenorte sprachen: Vor allem Arbeiter wohnten dort, alte Menschen,
Ausländer, Arme und Arbeitslose ..
... ein Ort, an dem man sich gegenseitig akzeptiert. Weil es eine Struktur
des Zusammenlebens gibt.
Seit mehreren Jahren – ähnlich wie in vielen anderen Städten
– haben auch die K-Gruppen diesen Stadtteil entdeckt, nämlich
Künstler und Kreative. Eine solche breitere Mischung der sozialen
Strukturen funktioniert trotzdem, solange eine neue Klientel eine alteingesessene
nicht vertreibt?
Sie funktioniert dann, solange sozial schwache Leute sich die Mietpreise
noch erlauben können. Und da ist leider auch dieser Stadtteil in
Gefahr, denn die Preise steigen gewaltig ...
... weshalb sich perspektivisch womöglich nur noch ein bestimmtes
Publikum das Wohnen in solchen Stadtteilen wird leisten können?
Hier im Viertel ist vor einiger Zeit auf einem früheren größeren
Gewerbehof eine Siedlung gebaut worden. Als meine Frau und ich eine neue
Wohnung mieten wollten, haben wir uns dort umgeschaut. Das ist da eine
komplett andere Welt, ein Getto in einem Stadtteil. Schöne Wohnungen,
aber mit Blick auf die immer gleichen Stadthäuser. Die Maklerin sagte:
„Herr Lohmeyer, es kann Ihnen hier natürlich auch mal passieren,
dass ein Punk durchläuft und von Ihnen einen Euro haben will.“
Sehen Sie, hab ich ihr geantwortet, ich glaube, ich wäre wohl falsch
an diesem Ort.
Das Stichwort heißt Gentrifizierung – Verdrängung
und Vertreibung alteingesessener Bewohner aus innerstädtischen Bereichen
– und betrifft alle größeren Städte. Was passiert
in diesem Zusammenhang?
Die Städte sind pleite, und sie haben noch freie Flächen zu
verkaufen. Der Not gehorchend werden die dann dem meistbietenden Investor
übergeben. Die Städte geben damit ihre Verantwortung für
eine soziale Struktur ab.
Stadtplanung wird unter der Überschrift „Profitmaximierung“
sozusagen privatisiert?
Ja sicher. Natürlich sind Städte wie Berlin pleite. Aber wer
bestimmt denn, wie sich eine Stadt weiterentwickeln soll? Der, der am
meisten zahlt? Ich beobachte inzwischen selten, dass eine Stadt noch so
geplant wird, dass ich sagen kann, sie breitet sich auch in meinem Sinn
aus.
Die in ihr lebenden Menschen werden zu den Veränderungsprozessen
zu selten gefragt?
Es ist gut, dass mittlerweile Bewegung reinkommt in das Thema und ein
Bewusstsein dafür entsteht. Hier in Hamburg sind das viele Einzelinitiativen,
die unter dem gemeinsamen Dach „Nicht in unserem Namen“ auftreten
und sagen, dies ist auch mein Platz, das ist mein Viertel. Und bestimmt
ihr, liebe Stadtplaner, bitte nicht so darüber, dass ich anschließend
hier weg muss.
Sonst verändern sich Städte ausschließlich nach Maßgabe
der Ökonomie und die Bevölkerung verteilt sich nach den Kriterien
Arm und Reich?
Vor allem ausländische und sozial schlecht gestellte Menschen werden
immer mehr an die städtischen Ränder gedrängt. Dafür
zieht dann ein Klientel ein, dass sich die Preise problemlos leisten kann.
Auf das Beispiel mit der neuen Siedlung von vorhin bezogen heißt
das: Alles passiert in meiner direkten Nachbarschaft. Und damit wird mir
dann was von meiner Heimat genommen.
Wenn man sich deutsche Innenstädte anschaut, dann werden sie
sich immer ähnlicher: Überall die gleiche Kettengastronomie,
die gleichen Shopping Malls, Elektronikmärkte oder Bürohäuser.
Könnte man die Innenstädte – ob nun Köln oder Düsseldorf,
Hamburg, Berlin oder München – nebeneinanderstellen, dann wüsste
man beim Rumlaufen gar nicht mehr, wo man gerade ist. Die Städte
werden universell. Wollte man in einem bestimmten Kölner Geschäft
gekaufte Stiefel umtauschen, dann ginge das in Berlin genauso wie in Hamburg.
Das ist nicht mehr spannend, den Städten wird ihr jeweiliger Charme
genommen.
Das Lokale ist bloß noch Kolorit, damit den Menschen die globale
Konsumwelt gemütlicher erscheint?
Es macht Viertel interessant für Touristen. Und dann wird, wie im
Hamburger Schanzenviertel, solange renoviert, bis eine Art allnächtlicher
Ballermann entstanden ist und die Anwohner keine Lust mehr haben und verzweifelt
wegziehen müssen.
Die Diskussion um Gentrifizierung wird überall sehr stark auch
von der kreativen Szene vorangetrieben. In Hamburg war es im vergangenen
Jahr eine Künstlerinitiative, welche mit einer Besetzung des historischen
Gängeviertels mitten in der Innenstadt den von einem privaten Investor
geplanten Abriss verhinderte und die Stadt zu einem Rückkauf zwang
- ein bundesweit mit großem Erstaunen verfolgter Vorgang. Sind Kulturschaffende
besonders betroffen von Verdrängungsprozessen?
Sie kriegen es vielleicht am ehesten zu spüren. Wir Künstler
werden hochgehalten für das Image einer Stadt, und gleichzeitig versucht
man uns die Lust an ihr zu rauben. Plötzlich sollen Ateliers oder
Probenräume weggenommen werden, weil man die Flächen gerne anders,
nämlich lukrativer nutzen möchte. Stadtplaner machen sich keine
Gedanken darüber, wo kreative Ideen denn eigentlich noch entwickelt
werden können. Dann kollabiert das schon mal bei einigen Leuten.
Und man sagt: Jetzt reicht es. Es geht auch hier um etwas ganz Substanzielles,
es geht um eine Art Selbstbestimmung des Menschen.
Wie könnte insgesamt gegengesteuert werden gegen
Gentrifizierung? Gäbe es so etwas wie einen Schutzschirm gegen Verdrängung?
Wir wissen, wie müde der Bürger ist, um in den Quark zu kommen,
und man kann auch nicht jeden Montag auf die Straße gehen und demonstrieren.
Aber man kann ein größer und größer werdendes Netz
spannen und versuchen, Bewusstsein zu schaffen für Veränderungsprozesse.
Jeder und Jede muss sich Gedanken machen darüber, wie sein, wie ihr
Stadtteil aussehen soll. Ich kann natürlich auch aufs Land ziehen
und eine Kommune aufmachen. Aber solange ich in einer Stadt wohne, trage
ich selbst eine Verantwortung für das, was dort geschieht. Diese
Verantwortung bedeutet, sich für mehr zu interessieren als nur für
das, was in den eigenen vier Wänden passiert. Und schon bin ich wieder
am Anfang unseres Gesprächs: Ein Stadtteil, eine Nachbarschaft lebt
nur dann und ist interessant für die Bewohner, wenn sich überall
auch Türen öffnen und zwischen Menschen Kommunikation herrscht.
Interview: Peter Brandhorst
Info:
Peter Lohmeyer
gehört zu den profiliertesten deutschen Schauspielern. Der an der
Westfälischen Schauspielschule in Bochum ausgebildete und später
mehrfach mit Filmpreisen ausgezeichnete 48-Jährige hat sowohl in
unzähligen Fernseh- und Kinoproduktionen mitgewirkt wie auch auf
vielen renommierten Theaterbühnen gestanden. Einen seiner größten
Erfolge feierte er 2003 unter der Regie von Sönke Wortmann in „Das
Wunder von Bern“, wofür er den Publikumspreis des Deutschen
Filmpreises erhielt. Schalke-Fan Lohmeyer hat auch mehrere Hörbücher
zu Fußballliteratur eingesprochen. Seit 2008 ist er mit der Fernsehköchin
Sarah Wiener verheiratet, mit der er in Hamburg-Ottensen lebt.
Das Interview erschien im Straßenmagazin für Schleswig-Holstein
HEMPELS, Heft Nr. 169, Mai 2010
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