Bis heute hat er mehr als eine Million Tonträger verkauft: Der
in Hamburg aufgewachsene Rapper und Hip-Hop-Sänger Samy Deluxe ist
bei jungen Menschen populär wie nur wenige andere Künstler.
Seine Popularität nutzt der 31-jährige Afrodeutsche, um für
mehr Toleranz zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben zu werben.
Im Interview spricht er auch über sein Projekt Crossover, das die
Integration von Schülern aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten
fördert.
Samy Deluxe, Sie sind als Sohn eines sudanesischen Vaters und einer
deutschen Mutter in Hamburg geboren und aufgewachsen. Wie schwer war es
für Sie herauszufinden, zu welcher Kultur Sie gehören?
Für mich war relativ eindeutig, wozu ich gehöre. Mein leiblicher
Vater war ja weg und ich bin in einer rein weißen Familie aufgewachsen
– meine Mutter, deren neuer Freund und nach ein paar Jahren ihre
gemeinsame Tochter, meine Schwester. Als Kind wusste ich nie etwas über
meine Wurzeln. Aber ich wusste, dass ich irgendwie nicht ganz in diese
weiße Familie reingehöre. Dass das Außenbild vielmehr
vermuten lassen konnte, dass ich der Adoptivsohn wäre.
Zu Ihrem Vater hatten Sie keinen Kontakt?
Als Kind bin ich einmal zu ihm hingeflogen. Das war auch gut. Aber hinterher
hab ich nie wieder richtig mit ihm geredet – leider.
Was unterscheidet eine afrodeutsche Kultur von einer rein deutschen?
Was ist denn eine afrodeutsche Kultur? Es gibt eine afroamerikanische
Kultur, ja. Aber eine afrodeutsche? Ich glaube, es gibt nicht einmal eine
türkischdeutsche Kultur. Man sollte versuchen, sein eigenes Update
von deutscher Kultur zu finden. Ohne was anderes davorzuhängen.
Als Kind und Jugendlicher mit dunkler Hautfarbe – haben Sie
sich manchmal ausgegrenzt oder gar bedroht gefühlt?
Einer Horde Skinheads, die mich hätte lynchen wollen, stand ich zum
Glück nie gegenüber …
… Sie sind im gutbürgerlichen Hamburger Stadtteil Eppendorf
aufgewachsen …
… wo es keine offen Rechtsradikalen gab. Aber es gab viele Leute
mit Klischees und Vorurteilen im Kopf. Seit der ersten Klasse habe ich
jeden Tag Worte wie Nigger, Bimbo oder Sklave gehört.
Heute sind Sie ein bekannter und erfolgreicher Künstler. Kommt
es weiterhin vor, dass Sie aufgrund Ihrer Hautfarbe diskriminiert werden?
Ich bin hier geboren und sollte eigentlich das Recht haben, jederzeit
sagen zu können, dass ich ein genauso normaler Teil von dem Land
bin wie alle anderen Menschen hier auch. Aber man kann nie normal sein.
Auf Flughäfen werde ich von Leuten, die mich nicht kennen, ständig
auf Englisch angesprochen, ob ich auch deutsch könne. Wenn Menschen
mit weißer Hautfarbe über die Straße gehen, dann sind
sie der Horst oder die Heike. Wenn ich auf der Straße bin, dann
bin ich nicht Samy sondern der Schwarze.
Rassismus ist nicht nur, mit Worten beschimpft oder gar körperlich
angegriffen zu werden? Es sind die fragenden, abschätzenden, misstrauischen
Blicke, die erniedrigen?
Wenn mir abends auf der Straße eine alte Dame entgegenkommt und
es ist dunkel oder schummerig, dann geh ich auf die andere Straßenseite,
damit sie keine Angst vor mir bekommt. Als Mensch mit dunkler Hautfarbe
macht man sich immer noch nicht locker in dieser Gesellschaft, weil sich
die Gesellschaft nicht locker uns gegenüber macht.
Mit nicht weißer Hautfarbe muss man weiterhin lernen, wegzuhören
oder wegzuschauen?
Viele Leute sind manchmal so unsensibel. Und Deutsche mögen gerne
für andere definieren, was als rassistisch zu gelten hat und was
nicht. Zum Beispiel das Wort Negerkuss. Wie mühsam ist es klarzumachen,
dass dies ein beleidigendes Schimpfwort ist. Oft wird einem geantwortet:
Wieso beleidigt dich dieses Wort? Das verstehe ich jetzt nicht, das ist
doch eine ganz normale Bezeichnung, meine Mutter hat mir früher auch
nie gesagt, dass dieses Wort beleidigend sein könnte – stell
dich nicht so an.
Ausländerfeindlichkeit ist nach wie vor verbreitet, sie findet
nur subtiler statt und nicht mehr so offen wie in den 90er Jahren?
In meinem Kopf ist die Belastung um das permanente Wissen, dass ich von
vielen Leuten zunächst aufgrund meiner Hautfarbe bewertet werde und
nicht aufgrund meiner Persönlichkeit. Ich habe gerade ein Lied geschrieben,
dass wir als Schwarze genauso viel erreichen können wie alle anderen
im Land, solange wir mindestens doppelt so hart dafür arbeiten und
uns gelegentlich unpassende Sprüche gefallen lassen.
Welche Emotionen weckt das, Deutscher zu sein und zugleich im eigenen
Land wegen Äußerlichkeiten teilweise nicht akzeptiert zu werden?
Dass man, wenn man ein schlauer und reflektierender Kerl ist, ein Album
dazu macht so wie ich jetzt. Es ist anstrengend, wegen seines Äußeren
angemacht zu werden. Aber die Anstrengung lohnt sich, Dinge besser werden
lassen zu wollen. Das geht jedoch nur, wenn man darüber redet. Wir
haben hier ganz einfach unsere Realität, egal woher unsere Eltern
ursprünglich auch kamen.
Sie haben früher mal gesagt: Eigentlich mag ich Deutschland nicht.
Wenn ich Geld hab, dann haue ich ab. Inzwischen sind Sie im vergangenen
Jahr sogar auf dem Tag der deutschen Einheit aufgetreten. Sind wir womöglich
doch auf einem guten Weg, ein Multikultiland zu werden?
Das zu werden ist mein Ziel, mein Ansatz. Und das Potential dafür
ist da. Ich glaube, es kann da kein Zurück mehr geben. In den Großstädten
hat schon jetzt mehr als die Hälfte der unter 16-Jährigen einen
Migrationshintergrund. Die Schalter müssen jetzt endlich umgelegt
werden. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das auch die Politiker so auf
dem Schirm haben.
Wo muss gehandelt werden?
Früher wurde der Fehler gemacht, alle Zuwanderer in ein Viertel zu
stecken, was teilweise ein krasses gesellschaftliches Gefälle bewirkt
hat. Soziale Brennpunkte müssen entschärft werden, es muss Integrationspolitik
betrieben werden. Und wir brauchen eine Bildungsreform.
Von Ihnen stammt auch die Aussage, dass Ausländer in Deutschland
mehr Leute mit Migrationshintergrund als Vorbilder brauchen. Gibt es immer
noch zu wenig Frauen und Männer mit türkischen und afrikanischen
Wurzeln, die in Politik, Kultur oder Sport erfolgreich Karriere machen?
Die paar, die es bisher gibt, reichen mir in der Tat nicht. Für einen
Deutschen ist es normal, dass er sich in allen gesellschaftlichen Positionen
repräsentiert wiederfinden kann. Aber nach einem schwarzen Anwalt,
Arzt oder Politiker müsste man lange suchen. Vielleicht ist das für
die Türken etwas anders, die haben schon eine etwas größere
Lobby. Und sie sind auch ein Volk. Schwarze sind das nicht, sie sind Afrikaner
aus vielen verschiedenen Ländern. Wir haben keinen gemeinsamen Kulturbegriff.
In Darstellung und Wahrnehmung – durch Fernsehen oder andere
Medien – bleibt Deutschland weiterhin ein Land mit weißer
Gesellschaft?
Genau. Ich hab kürzlich mit einem schwarzen Sänger und Schauspieler
gesprochen, der seit ein paar Jahren eine feste Rolle in einer TV-Krimi-Serie
spielt. Erst jetzt checken seine Kollegen dort, dass er als dunkelhäutiger
Mensch dem Thema Rassismus vielleicht etwas sensibler gegenübersteht
als ein weißer Drehbuchautor. Früher gab es erst immer lange
Diskussionen wenn er sagte: Hey Leute, diese Textzeile hier geht aber
nicht, die ist rassistisch. Das war dann zwar nicht böse gemeint
von den anderen. Aber wie vorhin schon bei dem Negerkuss-Beispiel angesprochen:
Viele Deutsche haben die Angewohnheit, für andere festlegen zu wollen,
was für sie eine Beleidigung ist.
Normen und Werte werden im Leben eines Menschen früh herausgebildet.
Tut Schule genügend gegen Rassismus?
Meiner Meinung nach nicht. Bei der Einschulung meines Sohnes vor zwei
Jahren hat die erste Klasse des Vorjahres ein Lied gesungen mit der Zeile:
„Alle Kinder können lesen, auch Indianer und Chinesen“.
Bei Indianer haben sie hinter dem Kopf zwei Finger wie eine Feder hochgehalten,
bei Chinesen haben sie die Augenwinkel zu Schlitzaugen nach oben gezogen.
Ihre Reaktion?
Ich war geschockt. Ich hatte vorher an meine eigene Schulzeit gedacht
und daran, wie scheiße die war bezogen auf Diskriminierungen. Und
ich hoffte, mein Sohn werde es heutzutage leichter haben. Und dann fängt
es gleich so direkt an!
Haben Sie Lehrer und andere Eltern darauf angesprochen?
Ja, beim nächsten Elternsprechtag. Aber niemand fand das unpassend,
weder die Lehrerin noch eine asiatische Mutter. Im Gegenteil: Das sei
doch keine Beleidigung, das sei nur witzig gewesen. Ich hab dann gesagt,
echt cool, ich hätte auch noch ein paar super Reime auf Neger und
Kanacken beisteuern können . Da fielen ihnen die Mundwinkel runter
– wie kann er uns nur rassistisches Gedankengut unterstellen? Aber
Rassismus ist nicht nur, nachts andere zu verprügeln. Rassismus ist
auch, nicht einsehen zu wollen, dass sich andere gekränkt fühlen
durch das, was man macht.
Sie haben in Hamburg den Verein Crossover gegründet und versuchen,
das Mit- und Füreinander von Jugendlichen verschiedener Herkunft
zu verbessern. Warum?
Es ist wichtig, dass die Menschen aufeinander zugehen. Wir gehen in Schulen
und versuchen Klassen aus unterschiedlichen Vierteln zusammenzubringen.
Ich will vermitteln, dass man auch mit Leuten klarkommen kann, die nicht
so aussehen und vielleicht auch ein anderes Sprachvermögen haben
wie man selbst, die andere Hintergründe haben. Mein persönlicher
Erfolg hängt ja auch damit zusammen, dass ich mit vielen verschiedenen
Leuten kommunizieren kann. Ich habe gelernt, dass es trotz der ganzen
Unterschiede, die zwischen Menschen vorhanden sind, auch viele Gemeinsamkeiten
gibt.
Wie gut klappt das, Kinder aus gutbürgerlichen Gegenden mit solchen
aus sozial schwächerer Umgebaung zusammenzubringen?
Insgesamt sehr cool. Kids aus sozial schwächeren Gegenden haben eine
kürzere Lernkonzentration und ein anderes sprachliches Niveau, sind
aber super gut in ihren darstellerischen Fähigkeiten. Bei Kids aus
gutbürgerlichen Vierteln ist es umgekehrt. Allen kann man sagen:
Ihr seht doch selbst, jeder hat seine Stärken und Schwächen.
Und wenn ihr die kombiniert, dann könnt ihr zusammen was erreichen.
Wie wichtig sind Erfolgserlebnisse für junge Menschen?
An meinem Beispiel beschrieben: Als ich mich noch nicht über Hip-Hop
definieren konnte, habe ich viel Scheiß gebaut. Vielen Jugendlichen
fehlt was im Leben, mit Musik können sie sich verwirklichen und ihr
Ego aufbauen.
Ist Jugend heute perspektivloser als vor zehn oder 20 Jahren?
Sie ist heute verwirrter. Das Internet bietet Millionen Perspektiven,
aber die Kids wissen nicht, welche sie davon wählen sollen und landen
dann oftmals bei der leichtesten.
Wie müsste eine Welt aussehen, in der Junge und Alte, mit weißer
oder schwarzer Hautfarbe einträchtig miteinander leben können?
Sie müsste ein Ort sein, an dem sich alles miteinander mischt und
sich die Leute einfach so verstehen. Auch wenn es dann nur eine oberflächliche
Nettigkeit wäre. Aber die ist immer noch besser als oberflächliche
Unfreundlichkeit.
Interview: Peter Brandhorst
Info:
Samy Deluxe
ist einer der kommerziell erfolgreichsten deutschen Rapper und Hip-Hop-Sänger.
Der 31-Jährige (bürgerlicher Name: Samuel Sorge) wuchs in Hamburg
als Sohn eines sudanesischen Vaters und einer deutschen Mutter auf. Sein
Vater verließ Deutschland, als der Sohn zwei Jahre alt war. Mit
seiner Musik will Samy Deluxe immer wieder auf Missstände in Bezug
auf das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Hautfarben und auf
Rechtsradikalismus aufmerksam machen. Kürzlich ist sein neues Album
„Dis wo ich herkomm“ erschienen. In Hamburg hat der Sänger
außerdem das Projekt Crossover ins Leben gerufen, um mit Musik-Workshops
an Schulen die Integration von Jugendlichen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten
zu fördern. Hip-Hop bezeichnet nicht nur eine Musikrichtung, sondern
auch eine Jugendkultur. Seinen Ursprung hat der Sprechgesang in den schwarzen
Ghettos der USA.
Das Interview erschien im Straßenmagazin für Schleswig-Holstein
HEMPELS, Heft 157, Mai 2009.
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