Die Älteste Tätowierstube Deutschlands

Gerade hat Geschäftsinhaber Günter Götz den zwei jungen Besucherinnen jene Frage gestellt, mit der er immer neue Kunden begrüßt. „Habt ihr euch auch alles gut überlegt?“ Und einen kurzen Augenblick lang scheint den beiden Frauen nun der Lack von den Fingernägeln zu platzen, ihre Augen weiten sich zu einem Staunen. Mit dem Auto extra aus Köln angereist sind sie, die 28-jährige Bahar und ihre 24-jährige Freundin Bianca, um sich in Hamburg großflächige Tattoos stechen zu lassen. Im Internet hatten sie sich informiert und Deutschlands älteste Tätowierstube als Ziel auserkoren. Gut überlegt? Ebenso hätte man sie wohl auch fragen können, ob sie den langen Weg denn noch in einem holz- oder doch schon luftbereiften Wagen zurückgelegt haben. „Wiewaswie?“, stößt Bahar schließlich aus, „seit Wochen fiebern wir diesem Moment entgegen, wir können es nicht mehr länger aushalten!“

„Tattoos sind wie eine Sucht“, sagt der 52-jährige Tätowierer Günter Götz später. Seit 22 Jahren sticht er am Hamburger Berg, direkt bei der Reeperbahn, Bilder und Buchstaben in Bauch und Beine, Arme oder Rücken. Zuvor betrieb dort lange Jahre sein Onkel den Laden, die mittlerweile 86-jährig in der Schweiz lebende Tattoo-Legende Herbert Hoffmann. Jetzt ist Deutschlands älteste Tätowierstube 60 Jahre alt geworden.

Inhaber Götz genießt mit seinem Studio einen besonderen Ruf in der bunten Tätowier-Szene. Das weiß er und nutzt es geschickt, um in der in den vergangenen Jahren zunehmend härter umkämpften Szene weiter überleben zu können. Wer sich von ihm tätowieren lassen will, sieht sich zunächst intensiven Beratungsgesprächen ausgesetzt. Seit vor gut 15 Jahren die Branche zu boomen begann und vor allem in den großen Städten neue Studios im Wochentakt wie Pilze aus dem Boden schossen, ist der Kampf um Kunden mittlerweile wieder härter geworden. „Wer sich anfangs gut informiert fühlt“, sagt Götz, „der kommt auch dann wieder, wenn das zweite oder dritte Bild gestochen werden soll.“ Dass es die meisten der Kunden nicht nur bei einer Tätowierung belassen, davon ist er überzeugt.

Auch Bahar, die 28-jährige türkische Kurdin aus Köln, die ihr Brot als Gastronomie-Unternehmerin verdient, will sich jetzt in Hamburg ein weiteres Permanent-Gewand auf den Körper bringen lassen – einen Drachen, der sich ab Leiste über Rücken bis zur Schulter schwingt. Vor neun Jahren hatte sie sich bereits einmal ein Ornament auftragen lassen. Eine Steißverzierung war das, die vor allem bei jungen Frauen beliebt ist und es mittlerweile als so genanntes Arschgeweih zu einer gewissen Popularität gebracht hat. Für Freundin Bianca wird es das erste Tattoo werden – asiatisch anmutende geschwungene Linien sollen es sein, in denen sich die Anfangsbuchstaben ihres Namens und ein Puma-Kopf verbergen. Warum in Hamburg und nicht in Köln, weshalb in der ältesten Tätowierstube Deutschlands? „Das ist für ewig“, antwortet die Studentin Bianca, „deshalb haben wir nach einem erfahrenen Tätowierer gesucht.“ Der setzt sich mit den beiden Frauen jetzt erst mal vor einen Bildschirm, um Variationen und Alternativen zu den mitgebrachten Vorschlägen zu entwerfen.

Zwischen 3000 bis 4000 Tätowierläden, Schwerpunkt im Süden, gibt es mittlerweile in Deutschland. In Hamburg sind es mehr als 100, noch Mitte der 80er waren es dort keine 15. Den genauen Überblick haben selbst die professionellen Beobachter der Szene verloren, seit sich nicht mehr nur Seefahrer oder Motorbiker gerne stechen lassen, sondern auch Frisösen und Fernsehmoderatoren.

Auch die Kunden von Günter Götz in Hamburg kommen quer aus allen gesellschaftlichen Schichten. „Priester oder Juristen, Ärzte und Handwerker – alles dabei“, sagt er. Während vor Jahrzehnten auch von den Vorbesitzern seines Ladens noch alles in die Haut geritzt wurde, wenn Hauptsache die Bezahlung stimmte, lehnt Götz heute manch Begehren ab. „Fast jeden zweiten Kundenwunsch verweigere ich“, sagt er, „Betrunkene und Jugendliche haben keine Chance, und auf Hals, Hand oder Kopf tätowiere ich grundsätzlich nicht.“ Eine Tätowierung, so das Credo in Deutschlands ältester Tätowierstube, ist eine Verschönerung des Körpers, die von ihren Trägern bei Bedarf aber auch muss verdeckt werden können, etwa im Berufsleben. Einfache Stiche kosten ab 50 Euro, nach oben sind kaum Grenzen gesetzt.

60 Prozent der Kunden von Günter Götz sind Frauen, zumeist jüngere. „Frauen gehen bewusster mit ihrem Körper um, verlangen oft große asiatische Schriftzeichen und bringen gleich Vorlagen mit“, sagt der 52-Jährige, der selbst nur zwei Tätowierungen an den Oberarmen trägt. Männer hingegen, „manchmal mit Oberarmen dick wie Baumstämme, kommen rein und sagen: Mach mir da mal irgendwas drauf, ein Sternchen oder ein Snoopy, ist egal.“ Mit ihnen allen spricht er dann zunächst darüber, dass ein Tattoo dem jeweiligen Körper angepasst werden muss. Was auf dem einen Rücken schick aussieht, wirkt auf dem anderen hässlich. Und man solle sich keine Motive, ob größere oder kleinere, mit zu vielen Details aussuchen, empfiehlt Götz. Sonst könne das Bild später, wenn es vielleicht doch nicht mehr gefallen sollte, nur noch mit Aufwand in ein anderes umgewandelt werden.

Über-Tattoos nennt Götz solche Reparaturaufträge, die inzwischen 40 Prozent seiner Arbeit ausfüllen. Mal müssen über die Jahre verlaufene Farben und Linien aufgehübscht werden, öfter jedoch, so Götz, gelte es, Nachlässigkeiten anderer Kollegen zu korrigieren. Dann baut er schon mal einen missratenen Tierkopf in ein blühendes Blumenbild um. Weniger als zehn Prozent seiner Hamburger Kollegen gesteht er zu, ausreichend qualifiziert zu arbeiten. Wer ein eigenes Studio aufmachen will, um von dem Boom der vergangenen Jahre zu profitieren, kann dies nämlich weiterhin problemlos tun. Eine vorgeschriebene Ausbildung gibt es in der Tätowierbranche nicht; einzige Voraussetzung sind Anmeldung beim Gewerbeamt und spätere Kontrollen, ob Hygiene-Vorschriften eingehalten werden. „Man braucht aber Erfahrung, um gut sein zu können“, sagt Götz. Er, der früher im Öffentlichen Dienst arbeitete, hat sie über Jahre bei seinem Onkel Herbert Hoffmann gesammelt.

Also alles nur von Glück und Zufall abhängig, wenn eine Tätowierung auch noch nach Jahren gefallen soll? „Der Kunde muss sich informieren“, sagt Günter Götz, „muss sich vor Ort die Läden anschauen, Fragen stellen und Vergleiche ziehen.“ Bianca und Bahar, die beiden jungen Kölnerinnen, haben sich inzwischen entschieden. Drachen und Puma-Kopf als Grundmotive bleiben, aber ein paar von Günter Götz gezeichnete Änderungsvorschläge sollen übernommen werden. Die äußerliche Veränderung kann nun beginnen, eine innere hat bereits zuvor stattgefunden. „Der Puma unterstreicht meine Persönlichkeit“, freut sich Studentin Bianca. Erst kürzlich ist ihre mehrjährige Beziehung in die Brüche gegangen.

Peter Brandhorst

Kieler Nachrichten vom 25.2.2006
Mannheimer Morgen vom 28.1.2006
Lüneburger Landeszeitung vom 4.3.2006

Info:

Wer sich ein Tattoo stechen lassen will, sollte sich darüber im Klaren sein, dass dies meist für ein Leben gilt. Die mit Hilfe von dünnen Nadeln in die Haut eingebrachten Farbpigmente lassen sich später nur mit Aufwand wieder entfernen. Als zuverlässigste Methode gilt dabei die Behandlung mit einem Rubin-Laser. Beim Lasern werden die Pigmente aufgebrochen, so dass sie langsam verblassen. Manche Farben lassen sich besser entfernen als andere. Die Lasermethode ist sehr zeitaufwändig und teuer. Auch die Größe einer Tätowierung spielt eine Rolle. Bei kleineren Tattoos ist es unter Umständen möglich, sie operativ herauszuschneiden.