Auch heute wollen sie wieder was von ihr. Fanny Dethloff sitzt bei sich
im Büro, und ein Polizeibehördenmitarbeiter sucht mal eben telefonisch
nach Antworten, um ein paar Dinge besser verstehen zu können. Später
ist sie mit einer Oppositionspolitikerin des Hamburger Landesparlaments
verabredet. Jetzt hat sie sich erst mal zwei Stunden Zeit genommen für
ein Gespräch mit HEMPELS. Fanny Dethloff, ordinierte Pastorin und
53 Jahre alt, ist eine weithin anerkannte und gefragte Gesprächspartnerin.
In ihrem Amt als Flüchtlings- und Menschenrechtsbeauftragte der Nordkirche
verkörpert sie eines der bekanntesten sozialen Gesichter Norddeutschlands.
Als Anwältin der Schwachen, die zu häufig keine Fürsprecher
haben, versteht Dethloff sich. Diesen Menschen will sie Mut zusprechen,
will zusammen mit Gleichgesinnten Perspektiven entwickeln und dazu beitragen,
ein Leben in Würde zu ermöglichen. Seit 2003 kümmert Dethloff
sich in offizieller kirchlicher Funktion als Mahnerin und Fürsprecherin
um die Not derjenigen, die ihre jeweilige Heimat verlassen mussten auf
der Flucht vor Hunger und Elend, Krieg oder Verfolgung. Sie weiß,
dass dies kein einfacher Job ist und geht dorthin, wo es nicht selten
auch wehtut, in die Behörden und Ämter. Dort kämpft sie
dann parteiisch für diejenigen, die in unserem Land Zuflucht suchen.
„Ich streite mit viel Respekt vor dem Gegenüber“, sagt
Dethloff, „ich bin durchaus charmant, aber in der Sache beinhart.“
Schon früh hat sie das Schicksal jener Menschen bewegt, die im Leben
Schreckliches erfahren mussten. 16 war sie, als sie als Mitglied der Schalom-Kirchengemeinde
in Norderstedt bei Hamburg einen in Begleitung des evangelischen Theologen
und Menschenrechtsaktivisten Helmut Frenz nach Deutschland gekommenen
gleichaltrigen chilenischen Jugendlichen von dessen Foltererfahrungen
unter der Pinochet-Diktatur berichten hörte. „Eine prägende
Begegnung“, sagt Dethloff heute dazu, das Engagement für Unterdrückte
und Verfolgte bestimmt seither ihr Leben.
Geprägt hat sie auch ihre damalige erste Begegnung mit dem Theologen
Frenz. Bis zu seinem Tod 2011 hat Frenz – erster Flüchtlingspastor
der Nordelbischen Kirche und später Flüchtlingsbeauftragter
des Bundeslandes Schleswig-Holstein – Dethloffs Weg in der Kirche
begleitet. „Als ich 2003 in mein Amt kam, sagte er mir: Das kannst
du“, so die Pastorin.
Damals fand sich die Institution Kirche plötzlich weitgehend allein
wieder im Engagement für Flüchtlinge. Hamburg, jene Stadt, die
sich gerne Tor zur Welt nennt und in der sich Dethloffs Dienstsitz befindet,
hatte gerade das Amt eines Ausländerbeauftragten abgeschafft, mit
Ronald Schill war zudem ein rigoros abschiebender Rechtspopulist Innensenator
geworden. Die Flüchtlingsbeauftragte Fanny Dethloff war, kaum dass
sie ihr Amt angetreten hatte, zur wichtigen Ombudsfrau geworden und half
mit, den Protest gegen eine von vielen Menschen oft als herzlos und gefühlskalt
empfundene Flüchtlingspolitik zu artikulieren.
„Ja, das Tor zur Welt“, sagt Dethloff jetzt und blickt hinüber
auf den Hamburger Hafen. In der neu entstehenden Hafencity, wo sich ihr
Büro mittlerweile befindet, ist man mit ihr auf die Dachterrasse
im 7. Stock hochgefahren und hat nun Schiffe und Umschlagplätze vor
Augen. Orte wie diese waren immer schon auch Ziel für Menschen, die
unter oft mehr als nur abenteuerlichen Umständen aus ihrer Heimat
fliehen mussten. So gesehen mag es kaum eine passendere Adresse für
das Büro einer Flüchtlingspastorin geben als diese. Dethloff
schaut weiter hinüber auf das Treiben im Hafen. Dann sagt sie plötzlich:
„Wenn nicht wir in der Kirche die Klappe aufmachen – ja, wer
soll es denn sonst tun?“
Die Klappe aufmachen: Da ist sie wieder, diese Grundhaltung einer zutiefst
vom Humanismus geprägten und in der Sache überzeugten Streiterin.
„Die Kirche muss mit ihrem Profil für bestimmte Inhalte stehen“,
sagt Dethloff, „Flüchtlingsarbeit ist dabei ein wichtiges Fundament.“
Schon die Bibel thematisiere den Umgang mit Fremden. Für sie bedeutet
das: „Ich bin fremd, ihr habt mich aufgenommen – solche Gastfreundschaft
ist fundamental für uns Christen.“
Mit dieser Grundhaltung wirkt sie in der Kirche sowohl nach innen wie
nach außen. Dethloff berät die Kirchenleitung, bereitet Synodenbeschlüsse
vor oder gibt beispielsweise Antworten darauf, wie Kirchenasyl gestaltet
werden kann. Und sie ist Anlaufstelle für all die Menschen, die sich
in den Lagern und Unterkünften um die Situation von Flüchtlingen
kümmern. Fanny Dethloff weiß, dass vor allem sie in der Öffentlichkeit
als das Gesicht der Nordkirche in Flüchtlingsfragen wahrgenommen
wird. „Aber man muss aufpassen“, sagt sie, „nicht zur
Symbolfigur zu verkommen, „es gibt viele Ehrenamtler in der Kirche,
ohne deren hervorragende Arbeit das Engagement für diese Menschen
nicht möglich wäre.“
Dabei will Dethloff es nicht nur beim Reden belassen. Noch wichtiger ist
ihr, draußen vor Ort den Dialog mit den Betroffenen zu führen.
Bei ihrer Arbeit will sie deshalb vor allem immer auch geerdet bleiben.
Sie geht dann zum Beispiel los in die Unterkünfte von Migranten und
kocht dort mit ihnen. „Ich möchte wissen, wie es in einer Asylunterkunft
riecht“, so die Pastorin, „auch wenn einen die dort dann erlebte
Not zerreißt.“ Sich der Not anderer Menschen anzunehmen, war
schon in ihrer Kindheit und Jugendzeit wichtiges Prinzip. „Ich hatte
ein offenes Elternhaus“, sagt die Tochter aktiver Gewerkschafts-
und SPD-Mitglieder, „man konnte immer zu uns kommen, wenn jemand
Probleme hatte.“
Eine solche Kultur des Willkommen heißen wünscht sie sich auch
im Bereich der Flüchtlingspolitik. Denn ein Land wie Deutschland
brauche aufgrund der demografischen Entwicklung Zuwanderung aus anderen
Ländern. Irgendwann, ist sie überzeugt, würden diese Menschen
bei der Einreise auf deutschen Flughäfen mit Blumen begrüßt
werden. Noch sind Politik und Gesellschaft jedoch längst nicht so
weit, auch das weiß sie. „Die, die schon heute zu uns kommen,
sind Menschen mit Geschichten und vielen Fähigkeiten“, so die
Flüchtlingspastorin, „sie warten darauf, dass sie ihre Kompetenzen
einbringen können, aber die Gesellschaft verhindert das bisher in
vielen Bereichen.“
In der Regel trifft Dethloff bei ihren Begegnungen mit Flüchtlingen
auf Menschen, die schon allein durch die Umstände ihrer Flucht traumatisiert
wurden. „Viele schämen sich einfach nur noch für ihr Überleben“,
sagt die Pastorin, „manche machen anschließend Fehler im Umgang
mit deutschen Behörden.“ Dass diese Menschen dann immer wieder
auch Vorurteilen ausgesetzt sind, findet sie empörend. „Auch
in unserer Gesellschaft gibt es überall Rassismus“, spricht
die Flüchtlingsbeauftragte, die 2002 ihren 1984 in Liberia geborenen
Sohn adoptierte und zwei weitere Kinder hat, gerne Klartext, „die
Frage darf nicht sein, welche Hautfarbe ein Mensch hat, sondern in welcher
Not er sich befindet. Rassismus ist Vorurteil und Macht.“
Dass ihr Streiten für diese Menschen viel Zustimmung erfährt,
zeigen zwei Auszeichnungen. Vergangenen Herbst wurde Flüchtlingspastorin
Dethloff vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein als „Mahnerin
in Sachen Menschenrechte“ mit dem Leuchtturm des Nordens gewürdigt,
bereits 2011 hatte sie, die seit knapp zehn Jahren auch Vorsitzende der
„Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche“
ist, vom katholischen Bündnis „Kirche von unten“ den
Dorothee Sölle-Preis verliehen bekommen, eine Ehrung „für
aufrechten Gang“. Jetzt in ihrem Büro in der Hafencity muss
sie auf einer Ablage erst ein paar Aktenstapel zur Seite schieben, um
die Preise nach vorne zu holen.
Dann klingelt wieder das Telefon, und Dethloff tut das, was sie zu ihren
wichtigsten Aufgaben zählt, sie spricht als Zeugin. Sie bezeugt,
dass Menschen in konkreter Not sind, weil sie irgendwo vor Verfolgung
fliehen mussten und hier Zuflucht suchen.
„Ich bin Menschenrechtszeugin“, sagt sie ganz am Schluss,
„das Schönste ist: Wenn Erfolg da ist – wie gestärkt
auch ich dann aus einer Sache rausgehe.“
Erschienen in HEMPELS Straßenmagazin, Mai 2013; Nr. 205
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